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Emmerich Talos (Hrsg.): Bedarfsorientierte Grundsicherung

Bedarfsorientierte Grundsicherung für Österreich. Herausgegeben von Emmerich Talos, Wien, 2003: Mandelbaum, 330 Seiten


Einführung in die Themenstellung

Die Grundsatzdiskussion über die Einführung eines unbedingten Bürgergeldes für alle wird in Österreich von der Opposition und von sozialchristlichen Kreisen trotz - oder auch wegen - des von Regierungsseite verordnetem Sparzwangs, vorbehaltloser geführt als in Deutschland.

Verschiedene Gutachten wurden erstellt (z. B. Mitschke, Joachim: Grundsicherungsmodelle - Ziele, Gestaltung, Wirkungen und Finanzbedarf. Nomos Verlag (Baden-Baden) 2000) und es bestehen verschiedene Netzwerke, wie das "Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt" (www.grundeinkommen.at) oder das an Grundsicherung interessierte "Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung", das auch die österreichischen Armuts-konferenzen organisiert (www.armutskonferenz.at). Ihm gehört auch der Herausgeber Emmerich Talos, Professor der Universität Wien, an. Das vorliegende Buch stellt einen umsetzungsorientierten Entwurf für ein Grundsicherungsmodell vor, der die Defizite des bestehenden Systems sozialer Sicherung beheben möchte.

Aufbau und Inhalt

Ausgangspunkt der Argumentation ist der Status Quo des österreichischen Sozialversicherungs-Systems. Nach einer systematischen Einführung in die Armutsdiskussion durch Peter Rosner werden die Armutsrisiken in verschiedenen Sicherungsbereichen im Detail erörtert:

Petra Wenzel geht auf Working Poor, auf prekäre Arbeitsverhältnisse und auf Arbeitslose ein, Katharina Wrohlich zeigt die besonderen Armutsrisiken von Familien auf, und Nikolaus Demmel schreibt über die Armutsrisiken in der Folge von Krankheiten sowie Armut trotz Sozialhilfe. Die Sicherungslücken werden aufgedeckt (zu kurze Versicherungszeiten etc.) und Transferarmut wird thematisiert: In allen Bereichen bleiben trotz der Transfers hohe Armutsquoten bestehen.

Die Sozialhilfegesetzgebung findet in Österreich auf Länderebene statt, was zu extremen lokalen Unterschieden bei den Regelsätzen führt und - durch die entstehende Unübersichtlichkeit - willkürlichen und rechtswidrigen Verwaltungspraxen Tür und Tor öffnet: In Niederösterreich wird SozialhilfeempfängerInnen ohne Krankenversicherung die Soforthilfe verweigert, in der Steiermark ist ein gemeldeter Aufenthalt Voraussetzung für einen Sozialhilfeantrag, weshalb Obdachlosen keine Hilfe gewährt wird. In Oberösterreich werden meist keine schriftlichen Bescheide ausgestellt, Frauen wird während eines anhängigen Scheidungsverfahren auch bei ausbleibenden Unterhaltszahlungen keine Sozialhilfe ausgezahlt, in Salzburg werden AsylbewerberInnen ohne Rechtsgrundlage auf 80% des Regelsatzes heruntergestuft, in Tirol erhalten Alkoholabhängige mit Hinweis auf die selbst herbeigeführte Notlage keine Sozialhilfe (S. 145f). Verständlich ist daher das Eintreten der Autoren für ein bundesweit einheitliches "Bundesgrundsatzgesetz".

Im zweiten Teil des Buches führt Talos in die Grundsicherungsdiskussion und in das Modell der "bedarfsorientierten Grundsicherung" ein. Es soll als zusätzliches, steuerfinanziertes Netz die Lücken der bestehenden Systeme schließen, mit dem Ziel der Eindämmung und Vermeidung von Armut. In Abgrenzung zu anderen Mindesteinkommen-Modellen soll der Bedarf allerdings pro Haushalt ermittelt werden, die Gewährung der Grundsicherung soll einer Vermögensprüfung unterliegen, sich ergebende Arbeitsmöglichkeiten wären anzunehmen.

Im dritten Teil werden Details der bedarfsorientierten Grundsicherung in den oben genannten Bereichen der Sozialversicherung diskutiert. Zwei Artikel zu verfassungsrechtlichen Problemen und zu den entstehenden Kosten runden den Band ab. Mit geschätzten 902 Mio. Euro (0,5% des Bruttoinlandsproduktes) ist dieses System der Grundsicherung das bei weitem kostengünstigste, andererseits würde es aber sicherlich nicht die emanzipatorische Wirkung eines unbedingten Bürgergeldes entfalten.


Zielgruppe

Durch die Breite der Themen bietet das Buch eine gute Einführung in die Diskussion der Armutsproblematik. Die Übersicht über verschiedene Grundsicherungsmodelle wird allerdings auf nur fünfzehn Seiten abgehandelt, dafür werden die Bedeutung und die Probleme der Umsetzung wiederum ausführlich diskutiert.

Fazit

Vom etwas skurrilen Cover (wird dort der Sozialstaat zerstückelt?) sollte man sich nicht täuschen lassen: Die Autoren stellen mit dem Buch eine gut strukturierte sowie detail- und datenreiche Untersuchung vor. An die soziale Sicherung angrenzenden Themenbereiche, wie die Problematik von Niedriglöhnen und der Bedarf an Kinderbetreuungseinrichtungen und sozialen Diensten wird thematisiert, nicht jedoch gerechtigkeitsphilosophische Gesichtspunkte. Inhaltlich bleibt allerdings unklar, wieso die bedarfsorientierte Grundsicherung neben die bestehende Sozialhilfe treten soll statt sie zu ersetzen (S. 208). Die in Deutschland eingeführte Grundsicherung hat zum Problem der doppelten Zuständigkeiten und mehrfachen Ansprüchen nur beigetragen statt es zu lösen.


Die Rezension ist zuerst erschienen unter: www.socialnet.de/rezensionen/889.php


Alban Knecht
Im März 2004




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